Christian Krumm: Heaven 11

Über das Buch:

Autor: Christian Krumm
Titel: Heaven 11
Verlag: Edition Roter Drache
Genre: Psychiatrie-Roman
ISBN: 978-3946425632
Preis: 14,95€

Inhalt:

So manch hoffnungsvolle Karriere endet im Abgrund! Diese Erfahrung muss der ehemalige Banker Marc Vossberg machen, der nach einem Burn-Out-Syndrom auf Drängen des Amtes eine Stelle als Aushilfspfleger in der geschlossenen Psychiatrie annehmen musste. Als er erfährt, dass er seinen alten Job wiederbekommen kann, keimt in ihm die Hoffnung auf. Um die Stelle antreten zu können, benötigt er lediglich eine Bescheinigung, dass er gesund ist.
Was zunächst ganz einfach klingt, entpuppt sich immer mehr als großes Problem. Keiner glaubt so recht an seine Diagnose und seine plötzliche Genesung. In seiner Verzweiflung wendet er sich ausgerechnet an den schizophrenen Patienten Gregor Thomè, der ihm dabei helfen soll, die Ärzte zu überlisten.
Denn eine Sache verheimlicht Marc: Das unheimliche Kratzen und Klopfen an seiner Zimmertür, das er seit seiner Krankheit jede Nacht hört.

Meine Meinung:

Meiner Meinung nach eignet sich eine Psychiatrie hervorragend als Setting für jegliche Art von Literatur. Dass es sich bei „Heaven 11“ eher um einen Roman, als einen Thriller handelt, spielt dabei keine Rolle. Um es kurz zu sagen: Ich war beeindruckt. Obgleich dieses Buch keine breit gefächerte Palette diverser Gewaltausbrüche oder blutiger Brutalitäten aufweist, konnte es mich von Beginn an in seinen Bann ziehen und mich voller Spannung unterhalten. Das spannungserzeugende Element dieser Geschichte war die Nahbarkeit zur Realität. Das Buch ist echt. So wie ich es in den Händen hielt, spürte ich gesellschaftskritische, tadelnde, aber auch appellierende Absichten zwischen den Zeilen eines jeden Absatzes. Natürlich sollte man auch die Geschichte betrachten, aber eine so wichtige Botschaft hinter eine solche Story zu packen, ist weitaus bedeutender. Seine Anerkennung für einen solch „unglamourösen“ Beruf – oder in dem Falle ist es wohl eher eine Berufung – in einen kompletten Roman zu zeigen ist so viel wert. Ich bin normalerweise keine Rezensentin, die viel Wert auf die Entwicklung einer Figur legt. Das ist dem geschuldet, dass es mir oftmals schwerfällt, sowas zu erkennen oder gar zu bewerten. Marc ist ein Charakter, der eine eindeutige Entwicklung durchmacht. Zu Beginn ist er sich ein wenig zu schade für den Beruf, er ist ein Banker durch und durch, er kann mit Zahlen, nicht mit Menschen. Nach und nach beginnt er sich mit seiner vorrübergehenden Arbeit zu identifizieren. Der richtige Umgang mit den Patienten scheint ihm im Blut zu liegen und je näher er seiner Arbeit kommt, desto mehr kann er sich mit allem, was eben zu dieser Arbeit gehört, identifizieren. Er beginnt zu akzeptieren, dass er diesen Patienten nicht ganz unähnlich ist und plötzlich kann er sich in diese Welt einfügen. Neben den vielen Aussagen auf der Deutungsebene gibt es natürlich auch die deutlich zum Leser sprechende Bildebene. Die Patienten sowie Pflegekräfte auf der Station, die wir näher kennenlernen dürfen, sind keine standardisierte graue Masse. Sie sind individuell und darüber hinaus, jeder etwas ganz Besonderes. Mit unglaublich kräftiger Recherche lernen wir diverse psychologische Erkrankungen kennen und deren Auswirkungen auf die Betroffenen selbst, aber auch auf das Umfeld. Ohne Übertreibung, sondern auf der verschwimmenden Grenze zwischen Realität und Fiktion balanciert Christian Krumm die Geschichte aus und reißt uns tiefer und tiefer in das Leben auf Station. Marcs eigene Krankheit ist in diesem Buch eher der sekundäre Handlungsstrang. Natürlich begleitet man ihn noch auf seinem Weg zurück in seinen alten Job zurück zu gelangen, aber dieser Weg, sowie die Frage ob Marc wirklich so viel gesünder ist, als die Menschen die er pflegt, sind für mich eher zweitrangig gewesen. Es gab keinen Moment der Langeweile, denn auf jeder Seite gibt es neue Erlebnisse und krasse Auslöser in der Psychiatrie. Es gab sogar eine Textpassage, die mir mein Herz hat in die Hose rutschen lassen. Ich war so erschrocken über einen Satz, weil ich mit diesem nicht gerechnet habe. Das Zusammenspiel dessen, was Marc alles erlebt und die Zusammenhänge die sich gen Ende hin immer klarer herauskristallisieren, waren für mich erfrischend, denn erwartet habe ich eine solche Richtung nicht. Klar strukturiert und dennoch undurchsichtig auf den ersten Blick, werden wir sowohl durch die Psychiatrie geführt, als auch langsam an ein Geheimnis von Marc heran – bis die ganze Geschichte letztendlich in einem etwas traurigen, jedoch nicht ganz so unerwarteten Ausgang endet und mich sowohl nachdenklich, als auch ein bisschen verständnisvoller und toleranter zurücklässt.

Bewertung:

Das wirklich fesselnde, waren für mich die Patienten und die täglichen Erlebnisse der Pfleger mit ihnen. Detailliert und so realitätsnah wie nur möglich wurden hier sämtliche Charaktere und die Eigenarten dieser herausgearbeitet. Dass der Autor selbst einige Jahre als Pfleger in der Psychiatrie gearbeitet hat und diese Erfahrungen mit in das Buch einbauen konnte, macht das Ganze für mich natürlich umso spannender, denn hier kommt die Frage hinzu „Was davon hat er wirklich so erlebt?“. Ich bin ein großer Fan von Geschichten, die sich an die Realität anlehnen, denn dadurch wird ihnen eine andere, lebendigere Dynamik auferlegt. Vor allem macht eben genau dieses Element einen großen Punkt der im Buch vorhandenen gesellschaftskritischen Ansätze aus. Wie reagieren wir, wenn wir plötzlich mit einer Person in direkten oder indirekten Kontakt treten müssen, die eventuell nicht unserer „Norm“ entspricht? Christian Krumm stellt uns alle ein wenig an den Pranger, denn wirklich über diese Personen nachdenken, deren einziger noch freier Platz in der Welt eine geschlossene Psychiatrie-Station zu sein scheint, wollen wir auch nicht – bis wir unangenehm konfrontiert werden. Ein großartiger Appell an die Leser, verpackt in einer unglaublich vollkommenen Geschichte.

Schreibstil: 5/5
Charaktere: 5/5
Geschichte: 5/5
Spannung: 4/5
Überraschungen/Wendungen: 4/5

Gesamtbewertung: 4,6/5


• Die Coverrechte obliegen ausschließlich dem Verlag. •

[Gekennzeichnet als Rezensionsexemplar]