
Über das Buch:
Autorin: Claudia Giesdorf
Titel: Blinde Lüge
Herausgeber: Claudia Giesdorf (Nova MD); Erstauflage (17. Oktober 2022)
Genre: Thriller
ISBN: 978-3985955039
Preis: 13,99 €

Inhalt:
Eine Unachtsamkeit mit Folgen
Von einer Sekunde auf die andere ist Katalina Breitenbachs Welt dunkel. Nach einem Unfall ist sie gezwungen, ihre Augen zu überkleben und ihre Genesung in die Hände ihres neuen Freundes zu legen. Sie zieht mit ihm in das geschichtsträchtige Herrenhaus seiner Eltern, wo sie liebevoll aufgenommen und umsorgt wird.
Vergangenes, das nicht ruht
Schnell wird Katalina klar, dass auf dem Anwesen etwas vor sich geht – ganz so, als befände sich außer ihnen noch jemand dort. Doch niemand scheint zu sehen, was Katalina spürt. Und als sie endlich die Pflaster abnimmt, steht sie vor einem undurchdringlichen Netz aus Lügen, das im Schutz der Dunkelheit um sie gewoben wurde.
Meine Meinung:
Vorab: Claudia hat eine fantastische Mischung aus physischem Buch und Hörbuch geschaffen – sofern man das als Leser möchte. Die Kapitel in Sprachnachrichtenform sind nämlich mit einem QR-Code versehen, sodass man sich diese theoretisch als authentischen Austausch gesprochener Nachrichten vorlesen lassen könnte. Probiert habe ich diese Idee selbstverständlich – sie funktioniert und verleiht der Geschichte eine ansprechend realistische Note, da die Charaktere durch die jeweilige Stimme lebendig wirken. Natürlich sind betroffene Passagen auch klassisch lesbar. Der zweite Kniff ist die gewählte Perspektive. Geschildert werden die Ereignisse aus Sicht der Protagonistin Katalina (nachfolgend Kata). Die Besonderheit hierbei: Kata hat durch einen unglücklichen Haushaltsunfall eine Augenverletzung erlitten und verliert temporär ihren Sehsinn. Eingeschränkt durch Pflaster auf ihren Augen, die den Heilungsprozess unterstützen sollen, ist sie auf Hilfe im Alltag angewiesen. Ihre erst kürzlich in ihr Leben getretene Affäre Milo nimmt sich dieser Aufgabe an. Der Einstieg in die Geschichte erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem Kata bereits vorübergehend blind ist. Das Interessante an dieser gewählten Perspektive ist, dass wir durchgängig auf dem Wissensstand der Protagonistin sind. Als Leser müssen wir uns vor allem auf ihre verbleibenden Sinne verlassen – und auf die Aussagen der anderen Charaktere. Schreibtechnisch genial, sich in eine blinde Figur hineinzuversetzen und dennoch realistisch genug Informationen zu übermitteln, die für den Lesenden ein greifbares Bild über die Gesamtsituation offenbaren. Wir wissen nicht, ob wir den Wahrnehmungen der blinden Kata trauen können und sind dadurch einem permanenten Misstrauen, einer permanenten Spannung ausgesetzt. Hinzu kommt noch das eigenartige Verhalten der Personen in ihrer Umgebung. Um wortlose Stillen und andauerndes Schweigen zu füllen, beschreibt Claudia Giesdorf detailliert jedes noch so kleine Geräusch. Der Schreibstil ist absolut gelungen und für die Situation sehr glaubwürdig. Die Dynamik zwischen den Figuren erscheint sehr durchdacht und bringt uns diese näher – obwohl keinerlei Aussagen zu Äußerlichkeiten getroffen werden. Kata erörtert deren Wesen anhand von Vorstellung, Vermutung, Ausdruck, Konnotation und Nebengeräuschen. Und auch unsere Protagonistin hat eine dunkle Vergangenheit, aus welcher sich nach und nach Informationen herauskristallisieren. Insgesamt ein inhaltlich unglaublich gelungenes Zusammenspiel.
Bewertung:
Man liest dieses Buch und fühlt sich genau so blind wie die Protagonistin. Dennoch klebt man an jeder Seite und versucht mehr zu sehen als Kata – aber Katas Perspektive sind des Lesers Augen und diese sind nun mal vorübergehend blind. Dieser Aspekt kreiert eine völlig neue Form der Spannung, die niemals abflaut. Man weiß bis zum Schluss nicht, was sich offenbart, wenn Katalina ihr Augenlicht zurück bekommt. Auch die Passagen, die ihre Vergangenheit beleuchten sind undurchsichtig und beinhalten mehr, als wir zunächst lesen dürfen. Auch hier folgt die Offenbarung peu à peu und mit ihr einher geht eine neue Welle an überraschenden Wendungen. In dieses Buch ist nichts, wie es auf den ersten Blick scheint. Und obwohl Claudia Giesdorf hier einen wahren Pageturner niedergeschrieben hat, hatte das Ende eine ernüchternde Wirkung auf mich. In meinem Kopf hatte ich schlicht eine andere Vermutung. Der Ausgang der Geschichte ist durchaus logisch und nachvollziehbar, für mich aber hinsichtlich der Thematik nicht ganz rund. Wahrscheinlich hatte ich mir nach den vielen Seiten thrillerhafter Perfektion einen größeren Knall erwartet. Dennoch spreche ich eine riesige Empfehlung für dieses Buch aus, da der Weg zum Ziel hier technisch und stilistisch unglaublich stark und mitreißend ist.
Schreibstil: 5/5
Charaktere: 5/5
Geschichte: 4/5
Spannung/Atmosphäre: 5/5
Überraschungen/Wendungen: 4/5
Gesamtbewertung: 4,6/5