Jonas Hannibal Schönberger: Engel über Berlin

Über das Buch:

Autor: Jonas Hannibal Schönberger
Titel: Engel über Berlin
Verlag: BoD – Books on Demand (15. September 2020)
Genre: Thriller
ISBN: 978-3752605945
Preis: 14,99€

Inhalt:

Ein blondes Mädchen, hatte man ihm gesagt.
Leiser schoss ein einziger Gedanke durch den Kopf:
Bitte nicht du.

Berlin, kurz nach der Jahrtausendwende. Eine blonde Frau wird in der Toilette eines Berliner Untergrundclubs tot aufgefunden. Hauptkommissar Dieter Leiser von der Berliner Mordkommission vermutet lediglich einen Zwischenfall im Drogenmilieu, doch als er am Tatort ankommt, macht er eine grauenhafte Entdeckung: In chirurgischer Präzision wurde der Frau das Herz entfernt, von dem jede Spur fehlt. Auf der Suche nach Hinweisen lernt er die Prostituierte Philomena kennen und muss bald feststellen, dass er weitaus größeren und grauenhafteren Machenschaften auf der Spur ist, als bisher geahnt.

Eine Hetzjagd durch das Berlin der frühen Zweitausender. Schönbergers zweites Buch entführt in einen dunklen Untergrund zwischen Drogen, Techno und Fetisch. Düster, rasant und unberechenbar.

Meine Meinung:

„Kommissar“. Bereits dieses kleine Wörtchen im Klappentext hat mich mit den Augen rollen lassen. Leider sind die typischen Ermittler-Mord-Geschichten nicht so mein Ding. Nachdem mich Autor Jonas Hannibal Schönberger jedoch überzeugt hat, dass dieses Buch in eine gänzlich andere Richtung verläuft, habe ich mich darauf eingelassen. Und tatsächlich: Es gibt einen Mord. Es gibt einen Ermittler und es gibt einen Täter. Dieser jedoch, ist uns von Anfang an bekannt, sodass die Jagd nach dem Mörder mehr oder weniger zweitrangig für den Leser ist. Damit ist eine stereotype Ermittler-Geschichte schon mal ausgeschlossen. Und ich muss sagen, die Geschichte überzeugt wirklich. Allein der Aufbau ist sehr spannend und abwechslungsreich gestaltet. Durch wechselnde Perspektiven erhält man hinter beinahe jede Fassade Einblick. Ob es nun Leiser, der Kommissar, Philomena, die Prostituierte, oder gar Bernstein, der korrupte Pharmaunternehmer, ist, wir bekommen aus jeder Perspektive immer wieder Stellen serviert, die die Geschichte als Gesamtkonstrukt voranbringen. Dabei sind aber auch die Charaktere alles andere als farblose, vorbeihuschende Schatten. Man bekommt zu fast jeder Figur früher oder später interessante Informationen aus deren jeweiliger Vergangenheit, die vielleicht ein bisschen erklären, welche Ereignisse jene Menschen auf die Art geformt haben, wie wir sie im Buch erleben dürfen. Diese Aspekte fand ich immer äußerst überraschend und unvorhersehbar, da die Figuren menschlich sonst recht wenig preisgeben. Man erlebt sie zwar bei der Ausübung ihrer jeweiligen Berufe, private Eindrücke sind jedoch rar gesät. Dem Autor ist es wunderbar gelungen, eine düstere und bedrohliche Stimmung einzufangen. Durch seine Worte hat er es wirklich geschafft, mich geistig nach Berlin ins Jahr 2000 zu holen. Die Worte mit denen er die Stadt beschreibt, tauchen sie in ein zwielichtiges und hässliches Licht. Durch die ständige Erwähnung von Zigaretten und blauem Nebel bekommt man als Leser das Gefühl, Berlin liege unter einer Dunstglocke und genau diese Atmosphäre braucht eine solche Geschichte. Unglaublich treffend und intensiv schafft es der Autor, seine Story, unter Berücksichtigung der passenden Stimmung, aufleben zu lassen. Nach dem Buch war ich tatsächlich ein wenig geknickt, aus dieser rauchgeschwängerten, dunklen Welt, die mich auf beeindruckende Weise in sich aufgenommen hat, auftauchen zu müssen. Und obwohl ich so begeistert von dieser spannenden Geschichte bin, habe ich auch einige kleine Kritikpunkte. Obwohl es ausreichend Brutalität und Gewalt gab, wirkten mir diese Gewaltakte manchmal zu steril. Während Jonas Hannibal Schönberger mit der Kraft seiner Worte eine starke Umgebung schafft, fand ich die Gewaltszenen zu nüchtern beschrieben. Für mich hätte es vor dem ein oder anderen Kontext gerne rauer und grober zugehen dürfen. Weiterhin bewundere ich den Schreibstil des Autors sehr. Er hat eine unglaublich kraftvolle und stilistisch starke Sprache. Dass manche Figuren den Berliner Dialekt bekomme haben, hat meinen Geschmack nicht getroffen. Zum einen, weil diese Unterschiede zwischen der Sprache des Autors und der der Berliner zu gewaltig ist, als dass es stimmig wirken könnte, zum anderen ist es ein Dialekt den ich persönlich nicht mag, weil ihm die Ernsthaftigkeit fehlt. Vor dem Hintergrund der Geschichte hat der geschriebene Dialekt stellenweise die Stimmung ein wenig zerstört. Außerdem hat es mich persönlich beim Lesen enorm angestrengt, da ich mich mit dieser Ausdrucksweise einfach nicht identifizieren kann.

Bewertung:

Abgesehen von einigen, doch sehr subjektiv betrachteten, Kritikpunkten, empfinde ich dieses Buch als gelungen. Obwohl ich anfangs bezüglich des Story-Aufbaus wirklich skeptisch war, habe ich unvoreingenommen eine gedankliche Reise nach Berlin begonnen – und es nicht bereut. Besonders packend fand ich die düstere Grundstimmung, die beim Lesen als ständiger Begleiter fungiert. In diese Atmosphäre beinahe perfekt eingearbeitet habe ich die Charaktere sowie deren Handlungen wahrgenommen. Die Individualität der verschiedenen Figuren ist ebenfalls positiv hervorzuheben. Denn obwohl sie alle eint, dass sie Dunkelheit in sich tragen, so kommt das doch sehr differenziert zur Geltung. Hier und da gab es sogar überraschende Wendungen, auch wenn der Fall zu Beginn augenscheinlich eindeutig schien. Das Setting befindet sich beinahe ausschließlich in den „dreckigen“ Ecken von Berlin. Diese passten einfach wunderbar ins Gesamtbild und wirkten unterstützend auf den gebrochenen Charakter des Buches, der eben durch all jene Elemente, wie beispielsweise Figurengestaltung, Atmosphäre oder die kraftvolle Sprache, wunderbar aufgebaut und gestärkt wird. Ich möchte euch dieses, doch recht düstere, Buch ans Herz legen. Obwohl für mich nicht alles ganz perfekt war, ist dies eine sehr gelungene und – trotz Ermittler – empfehlenswerte Geschichte, die sich für mich vom Grundgedanken und der Umsetzung sehr interessant von anderen Thrillern abhebt.

Schreibstil: 4/5
Geschichte: 4/5
Charaktere: 5/5
Spannung: 5/5
Überraschungen/Wendungen: 4/5

Gesamtbewertung: 4,4/5


• Die Coverrechte obliegen ausschließlich dem BoD Verlag. •

[Gekennzeichnet als Rezensionsexemplar]