Nina Casement: Anny Bunny

Gekennzeichnet als Rezensionsexemplar

Über das Buch:

Autorin: Nina Casement
Titel: Anny Bunny
Herausgeber: BoD – Books on Demand; 1. Edition (29. Januar 2023)
Genre: Roman
ISBN: 978-3756834839
Preis: 13,99 €

Inhalt:

Anna ist eine Getriebene: Aufgewachsen im Berliner Plattenbau, lernt sie von klein an, sich mit dem Existenzminimum durchzuschlagen. Als ihre Eltern sterben, will sie der Armut um jeden Preis entkommen. Dafür sieht sie nur einen Weg: Pornostar zu werden. Selbstbewusst und mit unbarmherziger Disziplin stellt sie sich den Herausforderungen der Branche und vermarktet sich erfolgreich als „Anny Bunny“. Doch derweil ihr Plan aufzugehen scheint, bleiben die physischen und psychischen Narben lange verborgen. Viel zu spät wird Anna bewusst, wie sehr das zerstörerische Frauenbild der Filme ihren Alltag beherrscht. Kann der Ausstieg in ein normales Leben gelingen?

Auch Phillip kämpft mit den sexuellen Erwartungen an ihn als jungen Mann, die seine Freunde mühelos zu erfüllen scheinen. Nach außen hin eine gewöhnliche Jugend erlebend, ist er innerlich zunehmend zerrissen und verunsichert – stimmt mit ihm etwas nicht? Ist er unfähig, eine glückliche Beziehung zu führen?

Meine Meinung:

Bei diesem Buch wusste ich zunächst nicht so recht, was mich erwarten würde. Klar war, dass es zwei Perspektiven gibt: die von Anna und die von Phillip. Ein direkter Zusammenhang scheint von Beginn an nicht zu bestehen, außer dass wir beide Charaktere begleiten, während sie den Großteil ihres Lebens mit dem Thema Sexualität konfrontiert werden – wenn auch grundverschieden. Erwähnenswert hierbei ist, dass Annas Geschichte um die 80% des Buches füllt, während Phillip die restlichen 20% vorbehalten sind. Die Perspektiven erscheinen dem Leser mehr oder weniger im Wechsel, ständig angekündigt durch ein Datum. Auch Zeitsprünge tauchen auf. Anfangs fiel es mir schwer, richtig in die Geschichte eintauchen zu können, da sich nur aus dem Kontext die gerade vorherrschende Perspektive ergibt. Außerdem „passiert“ relativ wenig. Das liegt daran, dass die Autorin den Fokus unglaublich stark auf die seelische Verfassung und die persönliche Entwicklung beider Charaktere legt. Beiden begegnen wir zunächst in einer frühen Jugendphase und begleiten sie dann über viele Jahre hinweg durchs Leben. Anna scheint quasi von Geburt an ein Lebensweg geebnet zu sein, dem sie jedoch unbedingt entfliehen möchte. Sie entscheidet sich für einen unkonventionellen Beruf. Hier entführt uns die Autorin in das Berufsleben einer Pornodarstellerin – von den Anfängen an. Die Schilderungen sind authentisch und sehr explizit. Dennoch liegt der Fokus auf Annas psychischer Entwicklung, was dieses gewählte Leben mit ihr macht und welche Veränderungen dadurch bei ihr entstehen. Inhaltlich wird es nicht selten ziemlich hart und unverblümt, gewisse Darstellungen werden schonungslos übertragen, sodass man sich auf jeden Fall vor dem Lesen an einer Trigger-Warnung orientieren sollte.
Ich hatte beim Lesen nicht selten das Gefühl, dass sich eine Faust um mein Herz legt und sanft, aber kontinuierlich zudrückt. Die Emotionen sind derart authentisch und greifbar. Es sind die banalsten Situationen, die hier geschildert werden. Aber das ist wahrscheinlich der springende Punkt. Die Schilderungen sind so nachvollziehbar, so nah an der Realität – egal in welcher sozialen Umgebung – dass man als Leser automatisch bestimmte Stellen auf sich selbst projiziert. Um ehrlich zu sein, hatte mich die Autorin mit ihrer Geschichte ab Seite 55 komplett, denn hier haben mich die transportierten Emotionen unerwartet und heftig zu Tränen gerührt. Ab dem Moment wusste ich, dass es sich hierbei um mehr als nur eine interessante Geschichte handelt.

Bewertung:

Ich finde dieses Buch absolut grandios. Es mag wenig tatsächliche Aktionen beinhalten, aber ich bin mir ausgesprochen sicher, dass das auch nicht der Punkt ist. Es geht um diese unglaublich greifbare Wandlung beider Charaktere, das Gefühl des Verloren-Seins, sobald sich auch nur der kleine Finger außerhalb einer genormten Schublade befindet.
Und natürlich geschieht am Ende das einzig Sinnvolle, aber auch das ist in Ordnung, denn manchmal braucht es Menschen außerhalb einer künstlich geschaffenen Norm, die eine eigene Norm für sich selbst kreieren. Emotionstechnisch ist dieses Buch auf einem unglaublich hohen Level: diese strudelförmige Steigerung, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint und die fühlbare Normalität in den Gefühlen der Charaktere – das alles hat Nina Casement derart fesselnd verpackt und transportiert. Man muss dieses Buch schon selbst lesen, um wirklich verstehen zu können, was hier im Leser ausgelöst wird.

Schreibstil: 4/5
Charaktere: 5/5
Geschichte: 5/5
Überraschungen/Wendungen: 4/5
Spannung/Atmosphäre: 5/5

Gesamtbewertung: 4,6/5

Bewertung: 5 von 5.